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Wenn Händeschütteln über die Einbürgerung entscheidet

11:53 - October 19, 2020
Nachrichten-ID: 3003237
Kommentar: Über ein Urteil, das hoffentlich angefochten wird

Im rechtspopulistischen Onlinemagazin PI-News werden Politik und Justiz in Deutschland oft als "grünversifft" diffamiert. Doch das Urteil des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wurde dort jetzt mit viel Lob versehen. "Kein deutscher Pass für Frauenverächter" jubilierte man bei PI über die Entscheidung, einen in Deutschland lebenden Oberarzt, der im Libanon geboren wurde, die Einbürgerung zu verweigern.

Dabei hatte der Mann eigentlich die besten Voraussetzungen dafür. Die Einbürgerungsurkunde war schon ausgefertigt. Doch der Mediziner weigerte sich, der zuständigen Sachbearbeiterin die Hände zu schütteln. Zunächst wurde daher die Einbürgerung ausgesetzt und dann verweigert. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg billigte jetzt dieses Vorgehen. In der Pressemitteilung des Gerichts wird die Vita des Mannes kurz so zusammengefasst:

Der knapp vierzigjährige Kläger reiste 2002 mit einem Visum zum Zwecke eines Deutschkurses und anschließenden Studiums in das Bundesgebiet ein. Er schloss sein Medizinstudium in Deutschland erfolgreich ab, ist mittlerweile Facharzt und an einer Klinik als Oberarzt tätig. Vor etwa zehn Jahren heiratete er standesamtlich eine in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige muslimischen Glaubens, deren Eltern aus Syrien stammen. Der Kläger hält sich seit seiner Einreise bis heute ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg

 

Musterbeispiel eines gut integrierten Menschen

Dort geht also klar hervor, dass der Mann eigentlich das Muster eines gut in die deutsche Gesellschaft integrierten Bürgers ist. Es gab keinen Hinweis über Beschwerden in seinem Lebens- und Arbeitsumfeld. Er hat auch alle bei der Einbürgerung obligatorischen Unterschriften zur Verfassungstreue geleistet und bei dem Einbürgerungstext die größtmögliche Punktzahl erzielt. Dass er die Dokumente trotzdem nicht erhielt, lag nur an einem Punkt:

Bei der geplanten Aushändigung der Einbürgerungsurkunde weigerte der Kläger sich 2015, der zuständigen Sachbearbeiterin des Landratsamts zur Begrüßung die Hand zu geben; denn er habe seiner Ehefrau versprochen, keiner anderen Frau die Hand zu geben. Zur Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kam es nicht. Gegen die daraufhin vom Landratsamt 2016 abgelehnte Einbürgerung hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben, das diese mit Urteil vom 7. Januar 2019 abwies. Die Berufung des Klägers hiergegen zum VGH blieb erfolglos.
Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg

 

Urteil ist Zeugnis von Diskriminierung

Die Begründung der Entscheidung macht verständlich, warum die Rechten, nicht nur PI-News, das Urteil feiern. Sie ist ein Zeugnis von Diskriminierung und Ausgrenzung aller Menschen, die nicht eine willkürlich festgestellte deutsche Kultur annehmen. Das beginnt schon mit der Bewertung des Handschlags:

"Die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse setze - jenseits der stets vorauszusetzenden Bereitschaft zur Beachtung von Gesetz und Recht - auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlich-kulturellen Gemeinschaftslebens voraus. In Deutschland - wie auch in anderen westlichen Staaten - seien Handschlag und Händeschütteln gängige nonverbale Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, die unabhängig von sozialem Status, Geschlecht oder anderen personellen Merkmalen der beteiligten Personen erfolgten und auf eine jahrhundertelange Praxis zurückgingen."
Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg

Dabei wird schlicht unterschlagen, dass es immer Menschen gab, die aus ganz unterschiedlichen Gründen anderen Menschen nicht die Hand schüttelten. Dazu gehören religiöse Motive - nicht nur bei Moslems. Es gibt auch bestimmte Lesarten anderer Religionen, die das Händeschütteln ausschließen. Aber zu den "Handschlagmuffeln" gehören auch Menschen, die einfach keine Lust haben, Hände anderer Menschen zu schütteln, vielleicht weil sie sich nicht mit Virenkrankheiten anstecken wollen.

Das war in jeder Grippesaison ein großes Thema. In Zeiten von Corona ist ein Verzicht auf Händeschütteln mit jedem ein wahrscheinlich wirksamerer Schutz, als Maske zu tragen. Daran ging das Gericht in seiner Begründung auch ein und wurde zum Orakel.

Aufgrund der langen geschichtlichen Tradition des Handschlags erachte der Senat es für ausgeschlossen, dass die derzeitige Corona-Pandemie, die mit einer Vermeidung des Handschlags einhergehe, auf Dauer zu einem Ende des Händeschüttelns führe. Auch in der Vergangenheit habe der Handschlag die Zeiten überdauert, die von weltweiten Infektionen geprägt gewesen seien.
Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg

Hier wird die deutschtümelnde Ausrichtung der Richter besonders deutlich. Willkürlich als abendländisches Kulturgut klassifizierte Verhaltensweisen wird eine Dauer zugesprochen, die selbst Corona nicht verändern wird. Dabei setzte sich das Gericht auch damit auseinander, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft gerade in der Jugend längst ganz andere Begrüßungsformen gibt und der Handschlag nicht nur aus medizinischen Gründen als altmodisch und anachronistisch abgelehnt wird.

Doch die Richter beharren darauf, was einmal in Deutschland üblich war, wird es auch in Zukunft sein.

Bei besonderen privaten, öffentlichen oder gar hoheitlichen Anlässen, die durch Förmlichkeiten geprägt würden, sei es aber gerade der Handschlag, der in diesem Kontext regelmäßig praktiziert werde. Der Handschlag habe ferner eine rechtliche Bedeutung. Er symbolisiere einen Vertragsabschluss. Zudem gebe es gesetzliche Regelungen, die vorsähen, dass Personen durch Handschlag auf eine ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet würden, beispielsweise bei der Übertragung eines öffentlichen Amts oder der Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht.
Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg

Nun wird ein Vertragsabschluss durch eine Unterschrift und nicht durch einen Handschlag gültig. Es steht jedem Vertragspartner frei, ihn zu machen. Doch die Unterschrift ist obligatorisch. Die Richter wirken wie die Mitglieder der Gesellschaft für Deutsche Sprache, die dauernd den Untergang des Abendlands an die Wand malen, weil sie nicht einsehen wollen, dass sich Sprache immer weiter verändert genau wie eben kulturelle Bräuche und Sitten. Es ist ein Kern rechter Ideologie, diese Veränderungen zu leugnen und bekämpfen.


Händeschütteln verweigern aus Solidarität

Es ist zu hoffen, dass der Mann, der wegen eines verweigerten Handschlags keine Einbürgerung bekommen hat, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof geht, um die Juristen aus Südwestdeutschland zu belehren, dass wir schon im 21 Jahrhundert leben. Denn dieser Akt juristischer Diskriminierung dürfte eigentlich keinen juristischen Bestand haben.

Bei dem Betroffenen wäre eine Klage schon wegen seiner nach Maßstäben bürgerlichen Verhaltens tadellosen Vita angesagt. Es gibt keine Hinweise auf irgendwelche Beschwerden in seinem Arbeits- und Lebensumfeld. Wenn schon so jemandem wegen eines anachronistischen Kulturbegriffs die Einbürgerung verweigert wird, was passiert dann erst mit jemandem, die oder der keine so erfolgreiche Integration in die bürgerliche Gesellschaft vorweisen kann?

Der Arzt hat übrigens erklärt, dass er die Gleichheit der Geschlechter nicht infrage stelle und infolge dessen keinem fremden Menschen mehr die Hand gebe. Das ist eine vernünftige Entscheidung, die nicht nur in Corona-Zeiten Schule machen sollte. Wenn deutsche Richter das Händeschütteln zu einem Kulturgut erheben wollen, das darüber entscheidet, ob jemand deutscher Staatsbürger werden darf, dann wäre es ein Akt der Solidarität von Menschen mit deutschem Pass, künftig demonstrativ das Händeschüttern zu verweigern. (Peter Nowak)

 

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